Wildmeisterdamm

Von seiner geografischen Lage her hätte der Wildmeisterdamm eigentlich das Zeug zu einer Hauptstraße der Gropiusstadt gehabt. Seine diagonale Ost-West Richtung von einem zum anderen Ende der Siedlung hätte eine Begründung dafür sein können, zumal er auch vom Alter her Anspruch darauf hätte. Ein Plan der Rudower Feldmark von 1777 (!) zeigt bereits als seinen Vorgänger - eine feldwegartige Verbindung von Rudow nach Buckow, den „Königsweg“.

Erst 1885/86 wurde diese Verbindung Teil der Kreischaussee von Marienfelde nach Rudow. Das bedeutete Pflasterung, die Anlage von Gräben zum Ablauf von Niederschlagswasser und Bepflanzung mit Bäumen. Die Bäume (243 Eichen, 240 Ahorne, 55 Linden und 8 Ulmen lt. Heimatkundler Wilhelm Schmidt)  lieferte die Firma Späth, die es heute noch gibt, ebenso wie einen Teil der Bäume, die als Naturdenkmale gelten. Chaussee-Vorsteher wurde der Gemeinde-Vorsteher Rohrbeck aus Buckow. Er war Aufsicht für den Chaussee-Geld-Einnehmer  und den Chaussee-Wärter, der kleinere Instandsetzungsarbeiten auszuführen hatte.

Die Instandhaltung war sehr wichtig, weil das Gebiet südlich der Chaussee Jagdgebiet war. Und zwar in Buckow vom königlichen Hofjagdamt gepachtet und in Rudow dem dortigen Gut zugehörig. Das bedeutete, dass die Hohenzollern und ihre Gäste wenigstens einmal im Jahr zur Jagd auf Niederwild ( Hasen, Rebhühner  und auch die begehrten Großtrappen) erschienen. So jagten auf der Buckower Seite drei Kaiser (Wilhelm I, Friedrich III und Wilhelm II). Die Rudower mussten sich mit Wilhelm II begnügen, der dort vom Gutsherrn Robert von Benda eingeladen wurde, um Rebhühner zu jagen. Rudow und sein Gastgeber sind in seinen Memoiren sehr positiv erwähnt: „Einer Einladung auf den Landsitz Bendas, Rudow bei Berlin, bin ich gern gefolgt. Die Stunden im Rudower Familienkreise, in dem von den talentierten Töchtern die Musik eifrig gepflegt wurde, sind mir in guter Erinnerung. Die politischen Gespräche zeigten, daß Herr von Benda einen weiten Blick besaß, der, frei von aller Parteischablone, eine so klare Auffassung über die allgemeinen Staatsnotwendigkeiten offenbarte, wie sie bei Parteimännern selten zu finden ist. Er hat mir aus altpreußischem Herzen, das fest an seinem Königshause hing, unter weitgehender Toleranz anderen Parteien gegenüber, manchen wertvollen Rat für die Zukunft erteilt.“

In Rudow zweigte die Chaussee von der Neuköllner Straße (damals Kaiser-Wilhelm-Straße) ab und mündete in Alt-Buckow (damals Dorfstraße) ein. Sie war sicher wenig befahren und kaum bebaut. Passanten und Kutscher hatten beidseitig einen weiten Blick über Felder in die märkische Landschaft. Nach Eröffnung des Bahnhofs Buckow der Rixdorf-Mittenwalder-Eisenbahn im Jahr 1900  gab es einige Veränderungen: Zwischen Bahnhof und Dorf setzte eine Besiedlung ein und um 1914 erhielt die Chaussee erstmals Namen: Im Buckower Teil „Bahnhofstraße“ und ab Rudower Wäldchen in Rudow „Buckower Chaussee“. Später dann „Straße 2“ und „Buckower Straße“. In den 20er Jahren war für den Straßenzug der Name „Kalksteinstraße“ vorgesehen, aber nicht angewandt, und nach 1935 hieß sie wieder „Buckower Chaussee“. Den Namen „Wildmeisterdamm“ vergab man 1939 im Gedenken an den königlichen Jagdbeamten, Wildmeister Hugo Luther, dessen Revier sich von Großziethen über Rudow und Buckow bis Lichtenrade erstreckte.

Das Gebiet, das der Wildmeisterdamm erschließt, reizte schon lange die Planer. 1910 gewann der Architekt Hermann Jansen einen Preis mit seinem Plan einer Landhaussiedlung östlich des Vogelwäldchens. Dieser wurde ebenso wenig  verwirklicht, wie die Absicht der Stadt Neukölln, einen Gemeindefriedhof auf dem Rudower Gutsacker zwischen Neuköllner Straße und dem Wäldchen einzurichten. In den 20er und 30er Jahren war eine Bebauung  südlich der Hufeisen-Siedlung geplant. Es gibt einen Plan von 1941 der Vorstellungen der Nazis folgt.  Der Neuköllner Bürgermeister Kurt Exner versuchte ein VW-Werk hier anzusiedeln. Aber nur der Plan zur Gropiusstadt wurde Wirklichkeit.
Allerdings tat sich beiderseits der immer noch chausseeartigen Straße einiges. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde die Landschule Rudow nahe dem Efeuweg gebaut (heute Campus Efeuweg), während des Krieges eine Flak-Stellung eingerichtet, ein Zwangsarbeiterlager entstand und eine Behelfsheimsiedlung für Ausgebombte. In der Nachkriegszeit kehrte nach Abbau der Kriegshinterlassenschaften der ländliche Charakter der Gegend wieder. Jedoch wurde immerhin ein betonierter Fußweg in den 50er Jahren angelegt und die durch Bomben völlig zerstörte Schule wieder aufgebaut.

Mit der Errichtung der Großsiedlung ab 1963 gingen dann die deutlichsten Änderungen einher: Der Wildmeisterdamm wurde  Gegenstand der Grünplanung von Prof. Walter Rossow, die er im Einvernehmen mit Prof. Walter Gropius übernahm. Dazu gehörte die "Amputation" am östlichen und westlichen Ende. Im Westen verlor er gut 300 m an die Johannisthaler Chaussee und an die Straße 484 (jetzt Fritz-Erler-Allee) im Osten etwa 800 m. Der Rest ging sozusagen in den Ruhestand. Der Wildmeisterdamm verlor weitgehend den Autoverkehr und wurde zur Promenade für Fußgänger und Radfahrer. Sein Baumbestand blieb erhalten und wurde teilweise ergänzt. Nahe dem Gemeinschaftshaus kreuzt er den Grünstreifen der Gropiusstadt und berührt kurz vor der Einmündung in die Fritz-Erler-Allee das Vogelwäldchen. Diese Verbindungen ermöglichen weite Spaziergänge im Grünen ohne wesentlichen Verkehr.

Zwei Besonderheiten gilt es noch zu erwähnen: Die längste Kaffeetafel der Gropiusstadt, die jeweils am 1. September-Sonntag im Freien auf dem Wildmeisterdamm stattfindet und ein beliebter Treffpunkt der Gropiusstädter ist. Und - gibt es noch eine zweite Straße in Berlin bei der die Hausnummern nur von „249 bis 293“ reichen und es ansonsten nur noch die Hausnummer 170 für einen Spielplatz  gibt?? 

Text:
Hans-Georg Miethke